15.07.2014

Das Geheimnis der Kinder


Kinder machen manchmal die seltsamsten Dinge.
Sie ziehen sorgfältig alle Taschentücher aus der Box heraus, binnen Minuten verwandeln sie das Badezimmer in einen Swimmingpool und lassen mit der Kinderschere auf dem Perser-Teppich ihrem künstlerischen Geist freien Lauf. Und ein paar Mal muss man auch dann ordentlich schlucken, wenn man die großzügigen Filzstift-Signaturen seines Kindes auf den Seiten seines Buches - eine echte Rarität noch dazu - entdecken muss.

Kinder machen aber auch die erstaunlichsten Sachen.
Wenn sie etwa 20 Minuten lang voller Motivation damit beschäftigt sind, ihre Schuhe auf- und wieder zuzuschnüren. Oder wie sie ganz konzentriert entlang eines schmalen Sockels herum balancieren können und wenn sie aus den einfachsten Gegenständen etwas ganz neues kreieren können. Oder wenn sie beim Aufbruch unbedingt und um jeden Preis ihre Sachen in ihrem eigenen Rucksack verstauen und dann tragen möchten und während wir die Haustür zusperren, kommen sie plötzlich auf die Idee, dann unbedingt und um jeden Preis doch ohne Rucksack gehen zu wollen. Oder wenn sie uns den ganzen Tag nur Löcher in den Bauch fragen.
Warum tun sie all diese Dinge?

Kinder machen die geheimnisvollsten Sachen.
Sachen, für die wir keine Erklärung finden. Und nach denen wir auch gar nicht suchen sollten. Denn alles, was Kinder machen, ist das Prinzip ihres eigenen Werdens. Sie wissen zwar nicht so genau, warum sie etwas machen, aber sie machen es ganz einfach. Es ist ihre Natur. Weil sie von Neugierde, von einem Entdeckungs-, Erforschungs- und Erprobungsdrang angetrieben werden, welcher genauso natürlich für ihren Geist ist, wie das Wachsen ihres Körpers. Wir können ihnen zuschauen, sie bewundern, aber was immer sie machen und warum sie dies machen, bleibt ganz alleine ihr Geheimnis.

Und wenn das Bücherregal nicht zum Klettern, die Raritätenbücher nicht zum Ausmalen, das Waschbecken nicht für Wasserexperimente und der Perser-Teppich nicht für künstlerische Laune geeignet sind, dann brauchen Kinder halt Alternativen. Es wäre völlig sinnlos, sie von diesem seltsamen, erstaunlichen und geheimnisvollen Tun gänzlich abhalten zu wollen. Ich habe es ein paar mal gewagt. Geht nicht.
Was sie statt dessen brauchen, sind Alternativen, womit sie ihren Drang, den sie so stark verspüren, nachgehen können. Einen Ort oder passende Gegenstände, wo und womit sie das, was sie wirklich bewegt, ausleben können. Wo sie in Ruhe an ihrem "Werden" arbeiten können. Völlig ungestört. Befreit von unserem ständigen Eingreifen. Befreit von unseren nervigen Bemerkungen, Besserwisser- und Fragerei.

Kinder machen manchmal Sachen, die einem den Verstand rauben. Aber nur, weil sie falsch verstanden wurden bzw. werden. "Unser Part ist es, Hilfe zu geben wenn wir gebeten werden. Wenn wir achtgeben, nicht in kindliche Aktivitäten und Interessen einzugreifen, so lange sie nicht schädlich sind, wird die Schöpfung für die Entwicklung des Kindes sorgen. Lassen Sie sie ihr kindliches Geheimnis wahren. Und durch die Jahre werden Sie sehen, wie das Geheimnis ihrer Kindheit zu erwachsener Stärke des Charakters und echter Unabhängigkeit heranwächst." (Maria Montessori)

2 Kommentare

  1. einer deiner schönsten texte.
    du hast so recht.
    kinder machen manchmal sachen, die einem den verstand rauben. aber nur, weil sie falsch verstanden wurden bzw. werden.
    dieser satz klebt jetzt an der spielzimmertür. gut lesbar für jeden besucher (und hin und wieder auch für mich). hoffentlich zum weiterdenken.

    danke.
    lieb, ann-ka

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  2. Wow. Sehr schön geschrieben!

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