07.08.2014

Montessori für Einsteiger - Teil 5


Beobachten und sich leiten lassen

Wenn Julia an etwas hoch konzentriert oder voller Elan arbeitet, verfolge ich ihr Tun stets mit Freude. Ganz am Anfang unseres Montessori-Weges las ich oft über das Beobachten, aber ich verstand gar nicht so richtig, was daran so schwierig sein sollte. Heute bedeutet für mich zu beobachten bei weitem mehr und ich weiß auch, dass es gar nicht immer so einfach ist.

Egal ob zu Hause oder unterwegs, wenn sich die passende Gelegenheit ergibt, beobachte ich sie aufmerksam bei allem was sie macht bzw. WIE sie etwas macht. Ich versuche dabei unauffällig zu sein, damit ich sie bei ihrer Arbeit nicht unterbreche. Was mir beim Beobachten besonders auffällt ist zum Beispiel,
  • was genau sie mit ihren Händen macht,
  • wie sie sich bewegt, 
  • wie sie Gegenstände hält,
  • welche Interessen 
  • und welche Vorlieben sie hat, 
  • wie sie ihre Probleme löst,
  • wie sie in einem Buch blättert und auf welchen Seiten sie dabei besonders gerne verweilt,
  • wie sie mit anderen Kindern redet
  • und welche Ängste ich bei ihr bemerke? 
  • Dabei fallen mir auch andere Details auf, wie etwa, das ein Korb, in dem ihre Spielsachen sind, zu klein ist oder ihre Seife um eine Spur zu groß und somit unpassend für sie zum Händewaschen ist.


Doch um all diese Details beobachten zu können, musste ich als erstes eins lernen: mich nicht in ihr Tun einzumischen, wenn es nicht wirklich gefährlich ist (bzw. wird). Auch heute kann ich mich oft noch nicht zurückhalten. Vor meinen geistigen Augen sehe ich dann bereits den Teller fallen, das kleine Schemelchen samt Kind umkippen und ich spüre, wie schwer es mir manchmal fällt, ihr die Arbeit nicht abzunehmen wenn dies doch so offensichtlich mit einer kleinen Handbewegung meinerseits getan werden könnte. Doch ich weiß, es ist wichtig, sie auch Fehler machen zu lassen, mich so gut ich nur kann, zurückzuhalten, damit sie selbst die Möglichkeit hat, Erfahrungen zu sammeln. Daher überlege ich lieber zweimal, bevor ich ihr Tun unterbreche oder meinen Mund aufmache.

"Wenn wir das Kind beobachten wollen, so müssen wir eben beobachten. Wenn wir sehen, dass das Kind mit Anstrengung und Schwierigkeiten arbeitet, oder dass es eine lange Zeit braucht, um zu tun, was wir sehr leicht tun könnten, so bleiben wir doch Beobachter."

(Maria Montessori - Über das Beobachten; aus einem ihrer Vorträge im Jahr 1921. Der ganze Text ist hier zu lesen.)


Jedes Mal wenn ich ihr beim Entdecken und Probieren zuschaue, erfahre ich unglaublich viel über sie. Es ist wie ein Schlüssel zu ihren persönlichen Entwicklungsbedürfnissen. Wenn ich merke, dass sie sich bei etwas besonders schwer tut weiß ich, dass ich es ihr bei Gelegenheit ganz unauffällig und ohne großartige Erklärungen wieder vorzeigen kann. Und oft braucht sie das gar nicht, es reicht, wenn ich einfach nur ein winzig kleines Stück ihrer Arbeit übernehme, den Rest schafft sie dann alleine. Dies tut ihrem Selbstwertgefühl dann immens gut. 
Durch ihre Handlungen bemerke ich auch, ob ich ihr eventuell etwas nicht ganz geschickt vorgezeigt habe. Auch dann warte ich auf die nächste passende Gelegenheit, es ihr ohne Worte anders vorzeigen zu können. An manchen Tagen spüre ich, sie braucht viel mehr Bewegungsfreiheit und an manchen Tagen sucht sie gezielt nach ganz bestimmten geistigen Herausforderungen.

Durchs Beobachten habe ich aber auch gelernt, Julia nicht mit anderen Kindern zu vergleichen. Denn kein Kind gleicht dem anderen. Was sie sehr fesselt, muss anderen Kinder nicht unbedingt so interessant erscheinen. Vielleicht braucht sie gelegentlich mehr Zeit um etwas zu verstehen, in anderen Sachen ist sie wiederum kaum aufzuhalten. Es gibt Tage, da braucht sie mehr Körpernähe und auch solche, wo sie mit ganz wenig zufrieden ist. All das sind ihre ganz individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse. Sie beschreitet ihren persönlicher Weg der Entfaltung den ich durch genaue Beobachtung besser verstehen und achtsam begleiten kann.

4 Kommentare

  1. Hallo Anna,

    danke für den Beitrag. Das Thema beschäftigt mich auch gerade sehr, da ich letztens erst einen Artikel darüber gelesen habe, wie gut es ist, Kinder nicht in ihrem "Flow" zu unterbrechen. Meine Tochter dann zu beobachten mag ich auch sehr gerne... Eine Frage hab ich: Was machst du, wenn Julia dich bittet, etwas für sie zu tun, was sie eigentlich selber kann? Nimmst du es ihr dann ab oder ermutigst du sie erst, es doch selber zu machen? Manchmal denke ich, meine Kleine lernt manche Sachen aus Bequemlichkeit nicht so schnell (z.B. das Selber An- und Ausziehen - sie will bei den meisten Kleidungsstücken, dass ich es für sie mache, aber manchmal wenn sie z.B. wütend ist, bekommt sie dann doch ganz schnell den Pulli selbst über den Kopf gezogen...) und ich bin mir nicht immer sicher, wie sehr ich sie dann fordern sollte. Ist natürlich auch situationsabhängig - manchmal wird sie nur frustriert, wenn ich sie auffordere, es selbst zu probieren, andermal bleibt sie länger dran und ist stolz, wenn sie es geschafft hat.

    Noch eins: Ich hab ihr diese Woche Wollnadeln zum Fädeln gekauft - das war ein super Tipp! Ich hatte gar nicht erwartet, dass sie das so schnell hinbekommt und ihr so viel Spaß macht. Und das Brett mit den Gummiringen zum Aufspannen hab ich auch nachgebaut (mit Nägeln), kommt auch gut an. :)

    Danke immer wieder für deinen Input. Ich glaub, ohne deinen Blog wär ich nicht (so schnell) auf Montessori gekommen und uns wäre einiges entgangen (auch was meine Sicht auf mein Kind betrifft).

    Viele Grüße, F.

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  2. Hallo!

    Vielen lieben Dank für Deine liebe Nachricht! <3
    Bei uns ist es nicht viel anders, als wie Du es bei Euch beschreibst. Ob sie etwas alleine machen will ist manchmal wirklich situations- und gemütsabhängig. Wenn sie mich um Hilfe bittet, dann helfe ich ihr, aber ich lade sie immer wieder ein aktiv mitzumachen. Es sei denn, sie ist hundemüde oder die Zeit drängt. Wenn sie dann etwas mal alleine geschafft hat und mir dies auch stolz verkündet „Geschafft!“, bestätige ich das dann auch „Du hast das alleine geschafft! Jetzt weißt Du schon, wie Du das das nächste Mal machen kannst.“ Ich sehe das aber nicht als Lob, sondern als Anerkennung. Wenn sie das Gefühl hat, fähig zu sein, eine Herausforderung alleine zu schaffen, ist so schön! Und mehr will ich auch nicht. Wenn sie frustriert ist, weil etwas nicht klappen will, warte ich, bis sie mich um Hilfe bittet. In 8 von 10 Fällen tut sie das dann auch. Dann sage ich ihr aber auch, was ich beobachtet habe „Du bist verärgert, weil die Socke an Deinem Fuß stecken bleibt.“ Und sie sagt „Ja!“. Aber überwiegend will sie Sachen alleine schaffen und protestiert, wenn jemand sich dabei einzumischen versucht.

    Die Wollnadeln werden auch hier heiß geliebt, allerdings musste ich eine Regel einführen: Nur beim Sitzen fädeln. Manchmal wollte sie diese nämlich gar nicht aus der Hand geben und fing an so auf dem Bett zu hüpfen oder damit herumzurennen.

    Ganz liebe Grüße,
    Anna

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  3. Ein toller Reminder ❤️ danke!

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  4. Hallo Anna, ich verfolge deinen Blog knapp zwei Jahre. Er ist für mich u.s. zu einem Nachschlagewerk geworden.
    Und dieser Post hat mich heute früh wieder grade gerückt, mir meinen Blickwinkel wieder korrigiert. Vielen Dank dafür :)

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