Das Konzept, wie Kinder das Schreiben und Lesen bei Montessori spontan erlernen ist genial. Weil es Kindern ermöglicht, sich diese recht komplexen Prozesse im eigenen Tempo und aus eigenen Willen anzueignen, ohne dass sie jemand dazu drängen würde. Doch es ist ein Missverständnis, dass Schreiben lernen bei den Sandpapierbuchstaben beginnt.
Bevor Kinder im Kinderhaus mit Sandpapierbuchstaben arbeiten, machen sie etwas ganz anderes und wirklich wichtiges: sie lautieren. Und sie lieben es! Dazu gibt es auf den Regalen Körbchen und hübsche Schachteln mit lauter spannenden Dingen darin, die junge Kinder magisch anziehen. Und wenn dann den Kindern auch noch gezeigt wird, was sie mit diesen Gegenständen machen können, ist die Begeisterung perfekt. So wird genau gelauscht, welcher Laut wo im Wort zu hören ist und die Gegenstände dementsprechend gepaart und angeordnet. Diese Arbeit ist wirklich wesentlich, denn sie ermöglicht es Kindern, die Laute, aus denen Wörter bestehen, ganz bewusst wahrzunehmen.
Dr. Montessori beobachtete Kinder, die ihre Hefte mit Großbuchstaben in Blockschrift vollgeschrieben hatten, also reihenweise K-s oder L-s, doch am Ende jeder Seite diese Buchstaben eher an C-s erinnerten. Ganz einfach, weil unsere Hände geschwungene Linien viel einfacher zeichnen können als Geraden.
Allerdings gibt es neben den Lautierungsarbeiten und Sandpapierbuchstaben eine Fülle von anderen Materialien und noch mehr Darbietungen, die es Kindern im Kinderhaus ermöglichen, sich das Schreiben anzueignen. Was die Großbuchstaben betrifft, so werden diese den Kindern natürlich im Kinderhaus auch gezeigt, allerdings erst bei anderen Arbeiten, wenn Großbuchstaben auch wirklich Sinn machen.
- Kinder von Anfang mit Sprache(n) umhüllen! Ihnen über ihre direkte Umwelt erzählen, ihnen vorsingen, Reime und Gedichte vortragen sowie vorlesen, vorlesen und vorlesen. Ich achte zudem auch sehr darauf, zu meinen Kindern deutlich, schön und in ganzen Sätzen zu sprechen.
- Die Dinge beim Namen benennen. Ich habe mir bereits, als Julia noch ein Baby war angewöhnt, nicht "Wau-Wau" und nicht einmal nur "Hund", sondern "Dalmatiner" zu sagen, wenn wir einen sahen. Kinder absorbieren die Sprache mit so einer Leichtigkeit und wenn sie die wirklichen Namen der Dinge erfahren können, bereichert sie dies enorm!
- Kinder nicht direkt korrigieren. Wenn Julia etwas grammatikalisch nicht ganz richtig sagt, korrigiere ich sie nicht direkt, sondern wiederhole einfach das Wort korrekt. (Ich habe schon geesst, Mama. - Ach, Du hast schon gegessen? Wunderbar!) So hat sie die Möglichkeit, das Wort grammatikalisch richtig zu hören, fühlt sich aber nicht von mir überfahren und hat weiterhin Freude an der Sprache.
- Kindern Aufgaben zutrauen, die die Hände sinnvoll beschäftigen. Kinder lieben Aufgaben, bei welchen sie ihre Hände und Bewegungen perfektionieren können. Aufgaben im Haushalt (und im Garten) sind nicht nur wunderbar um die Hände für das Schreiben vorzubereiten, sondern genau das, wonach bereits junge Kinder suchen.
- Auch bei den Spielsachen achte ich auf Einzelheiten. So bevorzugte ich damals, Julia Puzzles mit großen Griffknöpfen zu kaufen oder bot ihr Materialien an, wo sie die Hände sinnvoll einsetzen konnte.
- Einkaufszettel oder gar meine Notizen schreibe ich immer mit der Hand. Mir ist wichtig, dass meine Kinder mich auch mit der Hand schreiben sehen und erleben, dass Gedanken mit der Hand auf Papier gebracht werden können. Ist das nicht eine unglaubliche Errungenschaft?
- Wir spielen bis heute gerne "Ich sehe was"-Spiele, besonders in der U-Bahn um die langen Fahrten erträglicher zu machen. Wir spielen das Spiel dann etwas anders und lassen einander nach Gegenständen oder Farben raten, die einen bestimmten Laut am Anfang oder in der Mitte oder am Ende des Wortes haben (Ich sehe was - und es beginnt mit "k"...). Das macht wirklich Spaß!
- Auch spielen wir gerne auf dem Rücken zeichnen, wobei wir einander auch Buchstaben oder Zahlen erraten lassen.
- Erstlesebücher für Leseanfänger. Als Julia anfing zu lesen, besorgte ich ihr passende Bücher mit weniger Text, dafür aber mit größeren Buchstaben, so war sie nicht überfordert.
- Boxen und Haken in der Wohnung beschriften, wie etwa die Kiste mit den Hauben und Schals oder den Haken, wo der kleine Besen hängt.
- Ich zeigte Julia immer wieder Handarbeiten, wie Stricken mit einer Strickgabel oder Weben am Webrahmen. Solche Handarbeiten sind nicht nur sinnvolle Aufgaben für die Hände, sondern auch meditativ und kreativ.
- Das Schreiben und Lesen als spannend und als unglaubliche Errungenschaften vermitteln. Daher schreibe ich Julia kleine, liebevolle Botschaften auf Zettel, die ich ihr irgendwo verstecke. Mal in ihrer Jackentasche, mal auf ihrem Sitz beim Esstisch oder auf ihrem Kissen im Bett. Nicht nur, damit sie Lesen und Schreiben als etwas nützliches erlebt, sondern auch als etwas schönes, als ein Geschenk.
- Einige Lautier- und andere Spiele sind auch zuhause umsetzbar und machen Kindern, die Interesse an Buchstaben haben, garantiert eine Freude. Diese Ideen möchte ich euch in einem der nächsten Beiträge unbedingt zeigen.
Danke für diesen sehr interessanten Beitrag! Ich habe noch nie darüber nachgedacht, wie viel sinnvoller es tatsächlich ist, mit den Kleinbuchstaben der Schreibschrift zu beginnnen. Wenn man erst einmal darüber nachdenkt, ist es so logisch!
AntwortenLöschenLieben Gruß!
Hallo Jola! Bin ganz bei Dir! :) LG, Anna
LöschenDas ist echt interessant. Mein Sohn (5,5 Jahre) hat noch kein großes Interesse daran, lesen oder schreiben zu lernen. Manchmal soll ich ihm was aufschreiben, dann schreibt er es nach, aber das war es dann auch. Er rechnet und zählt einfach lieber. Er kann schon bis 1000 zählen und multipliziert. Weil er das selber so wollte, weil es ihn interessiert. Schlimm ist, dass in vielen Grundschulen hier schon davon ausgegangen wird, dass die Kinder lesen und schreiben können, wenn sie in die 1. Klasse kommen. Ich werde das aber auf keinen Fall erzwingen. Aber ich mache mal ein paar Spiele von dir nach, vielleicht hilft das ja.
AntwortenLöschenLG Steffi
Danke für diesen Beitrag! Besonders beherzt hat mich der Anreiz, kleine Botschaften für das Kind zu verstecken. Das werde ich definitiv nachmachen :)
AntwortenLöschenLiebe Anna, Danke für den Beitrag! Welche Erstlesebücher kannst du empfehlen?
AntwortenLöschenEin interessanter Beitrag.
AntwortenLöschenIn den meisten Ländern der Welt wird allerdings gar keine Schreibschrift mehr gelehrt, auch in Deutschland gehen die Grundschulen dazu über.
Meine Tochter geht in die erste Klasse und ihr Jahrgang ist der erste, der auch keine Druck-und Schreibschrift, sondern nur mehr eine sogenannte Grundschrift lernt...
Viele Grüße
Maria
Da sind sich die einzelnen Bundesländer und selbst Schulen leider nicht einig. In Baden-Württemberg gab es zum Beispiel eine Grundschrift-Erprobungsphase an einigen wenigen Schulen, jetzt hat Kultusministerin Eisenmann jedoch festgelegt, dass Schulen nur zwischen Lateinischer und Vereinfachter Ausgangsschrift wählen dürfen. Die Diskussion, ob das sinnvoll ist, überlasse ich lieber den Experten. Ich warte jetzt einfach ab, bis unsere Tochter sich für Schrift interessiert (da ist es noch lange hin) und frage dann im Zweifelsfall einfach kurz bei der Grundschule nach, welche Schrift sie verwenden.
LöschenEin sehr schöner Beitrag mit interessanten Tipps. Mein Sohn hat sich früh für Buchstaben und Lesen interessiert. Ihm habe ich kleine Botschaften als Schnitzeljagd im Haus versteckt z.B. ein Zettel mit dem Wort Bett oder Bad, wo er dann einen Zettel mit einem erneuten Hinweis auf ein Versteck fand. Er hat großen Spaß daran :-) Zur Zeit bin ich auf der Suche nach schönen Erstlesebüchern mit wenig Text. Kannst du Bücher empfehlen?
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Hallo,
AntwortenLöschenvielen Dank für den tollen Beitrag. Ich habe 2 Schulkinder (1. und 3. Klasse). Mein ältester Sohn wird Legasthenie haben. Noch ist es nicht getestet. Ich übe mit ihm viel und wir probieren verschiedene Strategien aus. Gerade war er auf die Idee gekommen, in meiner Schrift ( Schreibschrift) selber zu schreiben. Hier wird blöderweise die Grundschrift nur gelehrt und die Kinder pressen mit viel Kraft Druckbuchstaben ins Papier. Jedenfalls kann mein Sohn mit der Schreibschrift etwas besser seine Legasthenie kompensieren oder wie man auch sagen kann. Er macht dann etwas weniger Fehler im Diktat. Nach dem Beitrag hier, bin ich bestärkt, das es eine gute Idee ist. Druckbuchstaben sind nicht einfacher zu schreiben. Vielen Dank!
Liebe Grüße
Katja
Was man dennoch bedenken sollte: In Schreibschrift sind d,b,p,q sich sehr ähnlich. Zudem ist es in dem Alter noch normal Buchstaben spiegelverkehrt zu schreiben. Das kann echte Verwirrung stiften.
AntwortenLöschenLiebe Egoliquida! Bei der Druckschrift ja. Bei der Schreibschrift nicht, denn "g" bekommt einen Schleifen, "p" aber nicht, "b" schaut auch ganz anders aus ohne "Bauch" und ist dem "d" kein bisschen ähnlich. ;) LG, Anna
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