22.05.2013

Standbymodus


Wenn wir spazieren gehen, scheint die Zeit komplett stehen zu bleiben. Zumindest scheint mir das so, für sie natürlich nicht. Wenn ich irgendwo hingehe, habe ich ein bestimmtes Ziel vor Augen zu welchem ich hinkommen möchte. Wenn sie unterwegs ist, ist der Weg das Ziel. Sie bleibt immer wieder stehen, schaut sich um, beobachtet das Geschehen auf der Straße oder auf der Wiese, nimmt die Hand mit Kieselsteinchen voll und begutachtet die fleißigen Ameisen am Rande des Gehsteiges.
Sie hat Freude am Gehen und lässt sich gar nicht mehr tragen, sie will nicht einmal meine Hand halten. Sie will alleine laufen und sich hinhocken, stehen bleiben wenn sie das möchte und die Richtung einnehmen, die ihr sympathisch erscheint.

Montessori schreibt dazu in ihrem Buch "Kinder sind anders" (als Erwachsene):

Die mit "Freude begrüßten ersten Schritte stellen tatsächlich einen Triumph dar und kennzeichnen den Übergang vom ersten zum zweiten Lebensjahr. Er bedeutet sozusagen die Geburt des aktiven Menschen, der an die Stelle des untätigen tritt. Mit ihm hebt für das Kind ein neues Leben an. [...]

Nur durch lange Übung kann die Sicherheit des Ganges und der Gleichgewichtserhaltung gewonnen werden und so kommt es hier auf das individuelle Bemühen des Kindes an. Man weiß, mit welchem unwiderstehlichen Schwung und Mut sich das Kind in seine Gehversuche stürzt. Es will gehen, kühn, um jeden Preis [...]. Der Erwachsene sucht das Kind vor der Gefahr zu beschützen und umgibt es daher mit Schutzvorrichtungen, die richtige Hindernisse darstellen. Da wird das Kind in Laufställchen eingeschlossen oder im Kinderwagen festgeschnallt und herumgefahren, obwohl es schon längst stramme Beine hat.
Das geschieht deshalb, weil der Schritt des Kindes kürzer ist als der des Erwachsenen und weil es auf längeren Spaziergängen weniger Ausdauer besitzt. Der Erwachsene aber ist nicht imstande, auf seinen eigenen Gehrhythmus zu verzichten.

Im Alter von anderthalb bis drei Jahren vermag ein Kind kilometerweit zu Fuß zu laufen und dabei schwierige Strecken, Steigungen und Treppen zu überwinden. Nur ist der Zweck seines Gehens von dem unseren völlig verschieden. Der Erwachsene geht, um ein äußeres Ziel zu erreichen, und strebt dieses unentwegt an. [...] Hingegen geht das Kind, um seine Gehfunktion zu entwickeln, und sein Zweck liegt somit im Gehen selber. Es ist langsam, es hat weder einen Schrittrhythmus noch ein Ziel. Die Dinge ringsum ziehen es von Fall zu Fall an und treiben es weiter. Die Hilfe, die ihm der Erwachsene zu gewähren hat, besteht darin, dass er auf den eigenen Rhythmus, auf die gewohnte Zielstrebigkeit ein für allemal verzichtet."


Okay, ich weiß, ich habe viel aus dem Buch zitiert, wollte aber nichts weglassen. Denn ein zu eins erlebe ich das mit ihr, hier und jetzt. Sie will einfach nicht getragen werden, sie will gehen und entdecken. Sie hat so viel Freude am Gehen und an ihrer neu erworbenen Freiheit, dass man das glatt beneiden müsste.

Ganz so einfach ist das aber in einer Großstadt nicht. Denn es gibt viel zu viele Menschen, viel zu viele Autos und das Leben in so einer Stadt ist viel zu schnell. Manchmal sogar für mich. Also unternehmen wir so gut wie jeden Tag Spaziergänge verbunden mit viel Natur und Ruhe. Und während für sie die Welt immer spannender wird und in ihr eine Art Lernexplosion stattfindet, heißt das für mich auf "Standbymodus" schalten.

9 Kommentare

  1. Ein wundervoller Post, der auch mich freundlich ermahnt, die Gelassenheit meiner Kleinen zu übernehmen und die Zeit hin und wieder auszuschalten, auch ich lebe viel zu oft viel zu schnell (aber vermutlich geht das den meisten großen Menschen so). Danke. Einmal wieder.

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  2. ich bin auch im standbymodus wenn wir in der natur sind, allerdings nicht auf spielplätzen...wünsch dir ganz viele entspannte nebenherlaufmomente mit deiner tochter,
    lg Lisi

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    1. (Oh ja, auf dem Spielplatz geht es oft wirklich wild zu! :S)

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  3. Danke für deinen lieben Kommentar <3 Und das mit dem Laufen kenne ich. Obwohl der Zwerg mittlerweile schon Ziele besitzt: den Bach um die Ecke. Unterwegs wird aber immer wieder angehalten um Steine zu sammeln und Tannzapfen, damit er die in den Bach schmeißen kann ;)

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    1. Das klingt aber nach jeder Menge Spaß! Danke für deinen netten Brief, habe ihn vor Kurzem auch beantwortet. :)

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  4. Wirklich schöner Post :) wir wohnen auch in der stadt und versuchen ganz viel in die natur zu kommen..
    Darf ich dich fragen was für einen Helm deine Maus trägt.? (Sind momentan auf der suche)

    Liebe Grüße
    Sina

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    1. Oh, ich habe nicht wirklich nach dem besten Modell gesucht, im Geschäft gab es eben nur 3 in ihrer Größe, da wählte ich (typisch Frau?) nach der Farbe. Die Marke heißt Uvex. ;)

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  5. Das Bild mit dem Helm wirkt wirklich lustig. Wahrscheinlich hattet ihr ein Laufrad dabei, oder? Hier wirkt es aber, also ob sie einen Schutzhelm beim Laufenlernen trägt :). Ich finde diese Zeit auch total spannend. Euer Blog ist auch total schön. Auch wenn ich noch kein Kind habe, habe ich nahezu jeden Post verschlungen.

    LG,

    Nini

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    1. :) haha, tatsächlich, aber nein, der Helm ist natürlich wegen dem Rutschrad mit dabei. Man sieht sogar ein „Eck“ vom Rad ganz oben auf dem Foto. Du bist so lieb, danke vielmals für das nette Kompliment! <3

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